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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 11.05.2001
Aktenzeichen: 2Z BR 95/00
Rechtsgebiete: WEG


Vorschriften:

WEG § 21 Abs. 4
Zur Frage, wie die Regelung einer Gemeinschaftsordnung auszulegen ist, wenn einem Wohnungseigentümer allein die Verkehrssicherungspflicht für das Grundstück und die Straßenreinigungspflicht obliegt.
Der 2. Zivilsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts hat unter Mitwirkung der Richter Demharter, Werdich und Lorbacher

am 11. Mai 2001

in der Wohnungseigentumssache

wegen Ungültigerklärung von Eigentümerbeschlüssen,

beschlossen:

Tenor:

I. Die sofortige weitere Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Landgerichts Ingolstadt vom 5. Juli 2000 wird zurückgewiesen.

II. Die Antragsteller haben als Gesamtschuldner die gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu tragen.

III. Der Geschäftswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 3600 DM festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Antragsteller zu 1 und der Antragsgegner sind die Wohnungs- und Teileigentümer einer Anlage, die von der weiteren Beteiligten verwaltet wird. Dem Antragsgegner gehört das in der Teilungserklärung vom 18.6.1984 (TE) mit der Nr. I bezeichnete Wohnungseigentum zu 6/9 Miteigentumsanteilen, verbunden mit dem Sondereigentum an sämtlichen Räumen des Erdgeschosses, ausgenommen den bisher als Nebenzimmer genutzten Raum. Dem Antragsteller zu 1 gehört das Wohnungseigentum Nr. II zu 2/9 Miteigentumsanteilen, verbunden mit dem Sondereigentum an sämtlichen Räumen des Obergeschosses und des Zwischengeschosses sowie dem bisher als Nebenzimmer genutzten Raum im Erdgeschoss. Das Wohnungseigentum Nr. III zu 1/9 Miteigentumsanteilen, verbunden mit dem Sondereigentum an sämtlichen Räumen des Dachgeschosses, gehörte den Antragstellern zu 1 und 2 gemeinsam. Die Antragstellerin zu 2 hat jedoch während des Verfahrens ihren Anteil auf den Antragsteller zu 1 übertragen.

Gemäß Abschnitt IV TE steht dem jeweiligen Eigentümer des Wohnungseigentums Nr. I das Sondernutzungsrecht an der gesamten unbebauten Fläche des Grundstücks zu, insbesondere an sämtlichen nicht Überdachten Pkw-Abstellplätzen; ausgenommen sind die vor dem bisherigen Nebenzimmer gelegene Fläche sowie die als Zugang zum Hauseingang führende Fläche.

Den jeweiligen Eigentümern der Wohnungseigentumsrechte Nr. II und III steht gemäß Abschnitt V TE das Recht zu, das bestehende Gebäude entsprechend den beigefügten Plänen um- und auszubauen; jedoch darf innerhalb des Erdgeschosses nur das bisherige Nebenzimmer zu einer Garage umgestaltet werden. Die Kosten für den Aus- und Umbau haben diese Wohnungseigentümer allein zu tragen.

Die Gemeinschaftsordnung (Abschnitt IX TE) enthält folgende Regelung:

(5) Für die Instandhaltung und Instandsetzung des Sondereigentums und der Sondernutzungsrechten unterliegenden Grundstücksteile kommen die jeweiligen Eigentümer bzw. Nutzungsberechtigten auf. Dies gilt entsprechend für die Außenseite des Balkons im Obergeschoss und die Außenseite aller Fenster. Insbesondere obliegt die Verkehrssicherungspflicht bezüglich des Grundstücks und die Straßenreinigungspflicht allein dem Eigentümer des Miteigentumsanteils zu 6/9.

(6) Die übrigen Kosten für Instandhaltung und Instandsetzung, sowie die Betriebskosten... tragen die Wohnungseigentümer im Verhältnis der Miteigentumsanteile.

Das Stimmrecht in der Eigentümerversammlung richtet sich nach Miteigentumsanteilen (Abschnitt IX Abs. 8 TE).

In der Eigentümerversammlung vom 18.2.2000, bei der sämtliche Wohnungseigentümer anwesend oder vertreten waren, wurde einstimmig beschlossen, dass die baufälligen Giebel des Gebäudes durch Zugstangen gesichert und von innen gegen den Dachstuhl abgestützt werden sollten. Der Antrag des Antragstellers zu 1, dass der Antragsgegner als Verkehrssicherungspflichtiger die Kosten dieser Maßnahme allein tragen solle, wurde mit sechs gegen drei Stimmen abgelehnt. Der Antrag, die Kosten der Sicherungsmaßnahmen entsprechend den Miteigentumsanteilen aufzuteilen, wurde mit den sechs Stimmen des Antragsgegners angenommen; die Antragsteller gaben drei Neinstimmen ab. Ebenfalls mit sechs gegen drei Stimmen wurde die Erhebung einer Sonderumlage von 400 DM je 1/9 Miteigentumsanteil beschlossen.

Die Antragsteller haben beim Amtsgericht beantragt, die Eigentümerbeschlüsse betreffend die Aufteilung der Kosten der Sicherungsmaßnahmen und die Erhebung einer Sonderumlage nach Miteigentumsanteilen für ungültig zu erklären. Das Amtsgericht hat die Anträge am 17.5.2000 abgewiesen. Die sofortige Beschwerde der Antragsteller hat das Landgericht durch Beschluss vom 5.7.2000 zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die sofortige weitere Beschwerde.

II.

Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

1. Das Landgericht hat ausgeführt:

Nach der Veräußerung ihres Miteigentumsanteils führe die Antragstellerin zu 2 das Verfahren in gesetzlicher Verfahrensstandschaft für den neuen Rechtsträger fort. Die Anträge auf Ungültigerklärung der angefochtenen Eigentümerbeschlüsse seien zu Recht abgewiesen worden. Die Maßnahmen zur Sicherung der Giebel fielen nicht unter den Begriff der Verkehrssicherungspflicht im Sinn von Abschnitt IX Abs. 5 TE. Im Verhältnis der Wohnungseigentümer untereinander könnten sich die Antragsteller nicht darauf berufen, dass der Begriff der Verkehrssicherungspflicht weit auszulegen sei. Eine sachgerechte Auslegung der Teilungserklärung führe zu dem Ergebnis, dass den Antragsgegner zwar die Räum- und Streupflicht treffe, nicht aber die Kosten der Absicherung der Giebelwände von ihm zu tragen seien. Für diese Auslegung spreche auch, dass der jetzige gefährliche Zustand der Giebelwände durch Umbaumaßnahmen des Rechtsvorgängers der Antragsteller verursacht sei, der sich in Abschnitt V der Urkunde verpflichtet habe, die Kosten für den Um- und Ausbau allein zu tragen.

2. Die angefochtene Entscheidung ist frei von Rechtsfehlern. Die angefochtenen Eigentümerbeschlüsse entsprechen ordnungsmäßiger Verwaltung; sie stehen in Übereinstimmung mit den Regelungen der Gemeinschaftsordnung (vgl. § 21 Abs. 4 WEG).

a) Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Veräußerung ihres Miteigentumsanteils durch die Antragstellerin zu 2 auf deren Stellung als Verfahrensbeteiligte keinen Einfluss hat; § 265 ZPO ist entsprechend anzuwenden. Der Veräußerer führt das Verfahren in Verfahrensstandschaft für den neuen Rechtsträger fort; die rechtskräftig gewordene Entscheidung wirkt für und gegen den Erwerber (§ 45 Abs. 2 Satz 1 WEG, § 325 Abs. 1 ZPO entsprechend; vgl. BayObLGZ 1994, 237/239 m.w.N. und st.Rspr.).

b) Entgegen der Meinung der Antragsteller brauchte das Landgericht ihr Vorbringen, der Antragsteller zu 1 habe zwischenzeitlich im Weg der Notgeschäftsführung die Giebel gesichert, nicht zu berücksichtigen. Das Gericht hat zwar in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen, ob sich die Hauptsache vollständig oder teilweise erledigt hat. Das Vorbringen der Antragsteller gab jedoch zu einer solchen Prüfung keinen Anlass. Die Erledigung der Hauptsache tritt ein, wenn sich die Sach- und Rechtslage durch ein Ereignis derart verändert hat, dass der Verfahrensgegenstand fortgefallen ist und die Fortführung des Verfahrens keinen Sinn mehr hat (BayObLG NJW-RR 1997, 715/717). Gegenstand des vorliegenden Verfahrens sind Eigentümerbeschlüsse, mit denen die Tragung der Kosten und die Finanzierung der zuvor beschlossenen Sicherungsmaßnahmen geregelt wird. Der hierüber zwischen den Beteiligten bestehende Streit hat sich nicht erledigt, wenn die Sicherungsmaßnahmen zwischenzeitlich durchgeführt worden sind.

c) Die in der Versammlung vom 18.2.2000 beschlossene Aufteilung der durch die Absicherung der Giebel im Dachgeschoss entstehenden Kosten gemäß den Miteigentumsanteilen widerspricht nicht den Vorschriften der Teilungserklärung, wie die Antragsteller meinen. Diese Bestimmungen sind auslegungsbedürftig. Bei der Auslegung, die der Senat wie bei jeder Grundbucheintragung selbst vornehmen kann, ist auf den Wortlaut und Sinn abzustellen, wie er sich für einen unbefangenen Betrachter als nächstliegende Bedeutung des Eingetragenen ergibt; Umstände außerhalb der Eintragung dürfen nur herangezogen werden, wenn sie nach den besonderen Verhältnissen des Einzelfalls für jedermann ohne weiteres erkennbar sind (BGHZ 139, 288/292 m.w.N.; BayObLGZ 1996, 58/61 und st.Rspr.).

Der Senat gelangt bei der Auslegung der Teilungserklärung zum gleichen Ergebnis wie das Landgericht. Gemäß Abschnitt IX Abs. 6 TE sind die Kosten der Instandhaltung und Instandsetzung von den Wohnungseigentümern im Verhältnis ihrer Miteigentumsanteile zu tragen, soweit nicht die Sonderregelung des Abschnitts IX Abs. 5 eingreift. Dort sind die Kosten der Instandhaltung und Instandsetzung des Sondereigentums, der Sondernutzungsrechten unterliegenden Grundstücksteile und der Außenseiten von Balkonen und Fenstern dem jeweiligen Sondereigentümer oder Nutzungsberechtigten auferlegt worden. Dem im Erdgeschoss gelegenen Wohnungseigentum Nr. I des Antragsgegners ist gemäß Abschnitt IV TE das Sondernutzungsrecht an der gesamten unbebauten Fläche des Grundstücks mit Ausnahme bestimmter Zugangsflächen zugeordnet. Er hat dem gemäß die Kosten der Instandsetzung und Instandhaltung der Sondernutzungsflächen zu tragen. Die in Abschnitt IX Abs. 5 Satz 3 TE geregelte Wahrnehmung der Verkehrssicherungspflicht kann jedoch mit der Kostentragungspflicht nicht gleichgesetzt werden, wie die Antragsteller meinen. Die Verkehrssicherungspflicht beruht auf dem Gedanken, dass jeder, der eine Gefahrenquelle schafft, Vorkehrungen zu treffen hat, damit anderen - den Wohnungseigentümern und Dritten - kein Schaden daraus entsteht (BayObLGZ 2000, 43/46 und BayObLG ZMR 2000, 470/471). Die Verkehrssicherungspflicht obliegt grundsätzlich den Wohnungseigentümern gemeinschaftlich, kann aber auf einzelne Wohnungseigentümer oder Dritte übertragen werden (BGH NJW-RR 1989, 394 f. m.w.N.). Aus der Verknüpfung der "Verkehrssicherungspflicht hinsichtlich des Grundstücks" mit der Straßenreinigungspflicht in Abschnitt IX Nr. 5 Satz 3 TE folgt als nächstliegende Bedeutung der Regelung, dass der jeweilige Eigentümer des Wohnungseigentums Nr. I für den verkehrssicheren Zustand der unbebauten Teile des Grundstücks einschließlich der gemeinschaftlich genutzten Flächen zu sorgen hat, dass ihn insbesondere die Pflicht zur Beleuchtung, zum Schneeräumen und Streuen bei Glätte, zur Beseitigung von Hindernissen oder Unebenheiten auf dem Grundstück und zur Warnung vor solchen trifft und dass er außerdem eine den Wohnungseigentümern aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften obliegende Räum- und Streupflicht wahrzunehmen hat (vgl. Weitnauer/Hauger WEG 8. Aufl. § 27 Rn. 43). Demgegenüber können sich die Antragsteller nicht darauf berufen, dass die Verkehrssicherungspflicht, weil sie für das gemeinschaftliche Grundstück, das Gebäude sowie die gemeinschaftlichen Einrichtungen und Anlagen gilt (vgl. Staudinger/Bub WEG § 21 Rn. 182, 183), mehr umfasst als die vorstehend genannten Maßnahmen. Eine Abwälzung der Verpflichtung, das Grundstück und das Gebäude in einem verkehrssicheren Zustand zu erhalten, auf den Antragsgegner lässt sich der Teilungserklärung nur hinsichtlich der unbebauten Grundstücksflächen entnehmen.

d) Ob der sicherungsbedürftige Zustand der Giebel im Dachgeschoss durch Baumaßnahmen des Rechtsvorgängers der Antragsteller herbeigeführt wurde, kann offen bleiben. Denn durch die Aufteilung der Kosten nach Miteigentumsanteilen gemäß Abschnitt IX Nr. 6 TE und in Übereinstimmung mit § 16 Abs. 2 WEG werden die Antragsteller als nunmehrige Eigentümer des Dachgeschosses jedenfalls nicht benachteiligt.

3. Dem Senat erscheint es angemessen, den in allen Rechtszügen unterlegenen Antragstellern die gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens aufzuerlegen (§ 47 WEG).

Der Geschäftswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird gemäß § 48 Abs. 3 Satz 1 WEG auf 3600 DM festgesetzt. Dies entspricht der Höhe der beschlossenen Sonderumlage.

Ende der Entscheidung

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